Digital Disruption

Strategien, um Disruption zu bewältigen

In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf die Auswirkungen von Digital Disruption und welche Strategien existieren, um sich als Unternehmen für einen langfristigen Erfolg am Markt sicher zu platzieren. Es existiert ein weit verbreitetes Narrativ von schnell wachsenden Unicorns, die unglaubliche Summen in Finanzierungsrunden erzielen können und ein erstaunliches marktverdrängendes Potenzial aufweisen. Für etablierte Unternehmen scheint es da nur eine Lösung zu geben - aufholen und sich dem innovativen Wettlauf stellen oder abgelöst zu werden. Doch sieht die Realität für Unternehmen heutzutage wirklich so düster aus und existieren noch weitere, weniger radikale Strategien, um mit Disruption umzugehen?

Zunächst beschäftigen wir uns mit der Frage was Disruption überhaupt bedeutet und wer diesen Begriff geprägt hat. Der Begriff stammt aus dem Englischen “to disrupt” was so viel wie “unterbrechen” und “durcheinanderbringen” bedeutet. Im Zusammenhang mit Innovationen wird der Begriff häufig dafür genutzt, Technologien oder Geschäftsmodelle zu kennzeichnen, die in der Lage sind bestehende Produkte oder Dienstleistungen abzulösen oder zu ersetzen. Die Theorie findet Ihren Ursprung in dem Buch “The Innovator’s Dilemma” (1997) von Clayton Christensen, der die Theorie aufstellt, dass es neben der “klassischen” Innovation, die bestehende Produkte oder Dienstleistungen weiterentwickelt auch disruptive Innovationen existieren, die gesamte Märkte durcheinander bringen und Geschäftsmodelle vom Markt verdrängen können (hier kann als Beispiel die Erfindung der MP3 genannt werden, die den Weg für das Musikstreaming eröffnete und das Geschäft mit den CDs zerstörte).

Es existieren seit dem viele Beispiele von Unternehmen, welche Opfer von disruptiven Innovation wurden (wir denken hier z.B. an Kodak und Nokia) und viele fürchten die Nächsten zu sein, die abgehängt werden. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass seit Beginn der Internet-Revolution Mitte der 90er Jahre viele Unternehmen weiterhin existieren. Allerdings würde man wohl annehmen, dass gerade mit dem Internet ein unglaubliches disruptives Potential entstanden ist und das die Fluktuation von Geschäftsmodellen deutlich höher sei. 96% der Unternehmen, die es aktuelle in die Liste der 500 größten Unternehmen der USA schaffen, existierten allerdings bereits 1995. Global gesehen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab (siehe Abbildung 1). Es gilt also festzuhalten, dass die Gefährdung von digitaler Disruption etwas sehr Individuelles und weniger zerstörerisch ist als vielleicht angenommen und dass nicht jede Branche gleichermaßen betroffen ist. Darüber hinaus existieren Strategien für Unternehmen, um wissensbasiert und systematisch an die Bedrohungen des Wettbewerbs heranzugehen, damit klügere Entscheidungen getroffen werden können.

Abbildung 1: The Fortune 500 und The Global 500 – Ein Vergleich (Birkinshaw, 2022)

Wenn wir einen Blick auf die Fortune-500-Liste nach Sektoren werfen, fällt auf, dass es ausschließlich in den Sektoren Einzelhandel und Technologie, Medien und Telekommunikation signifikante Veränderungen gegeben hat. Es lässt sich also festhalten, dass viele Branchen (Energie, Chemie, Automobilbau, Luft- und Raumfahrt, Konsumgüter, Finanzdienstleistungen und weitere mehr) überraschend stabil zu sein scheinen. Das eingangs erwähnte Narrativ scheint also nur bedingt wahr zu sein und vereinzelte Beispiele von etablierten Unternehmen, die sehr stark zu kämpfen hatten in den letzten Jahrzenten, nicht repräsentativ sind für allgemeine Trends zu erfassen.

Reaktionen auf Disruption

Julian Birkinshaw beschreibt in einem Artikel im Havard Busines Review (2022) mehrere Strategien, wie Unternehmen mit Disruption richtig umgehen können. Die erste, vielleicht natürliche Reaktion aus Unternehmenssicht wäre es, sich anzupassen, also beispielsweise eine konkurrierende digitale Einheit aufzubauen oder eine Transformation zu verfolgen. Aber es gibt auch weitere Ansätze, die erfolgreich sein können:

Zurückkämpfen

Zurückkämpfen ist eine der Strategien, die bei der Analyse der der Fortune-500 und Global-500 als erfolgreich erwiesen hat. Wenn Technologieneuerung eine existenzielle Bedrohung für das Unternehmen darstellen, ist es sinnvoll sich zu wehren und beispielsweise eine neue Einheit zu gründen oder ein Joint Venture einzugehen. Ein Beispiel hierfür wäre der Einstieg vieler deutscher Automobilhersteller in die Elektromobilität. Hier sollte allerdings noch erwähnt werden, dass dies eine sehr große Herausforderung für Unternehmen darstellt und das etablierte Unternehmen eher eine schlechte Erfolgsbilanz aufweisen, wenn es darum geht, bei disruptiven Innovationen zurückzukämpfen.

Einsatz verdoppeln

In dieser weiteren offensiven Strategie spielen Unternehmen bewusst ihre Stärken in Form von Vermögenswerten, Vertriebsstrukturen, Markenpräsens oder ähnliches aus. So hat sich beispielsweise Disney Anfang der 2000er Jahre dazu entschieden, auf seine Stärken zu bauen und ihr Filmgeschäft mit einer Übernahme von Pixar und Marvel auszubauen, anstatt auf dem noch unsicheren Streaming-Markt zu konkurrieren. Durch diesen Aufbau von einem beliebten Filmangeboten waren sie im  Anschluss in der Lage mit Disney+ Netflix zu konkurierenund haben sich eine starke Verhandlungsmacht aufgebaut. In dieser Strategie bauen Unternehmen bewusst auf ihre Stärken und weltweite Reichweite, um Markteintrittsbarrieren bewusst hochzuhalten, damit neue Marktteilnehmer nur schwer in bestehende Märkte eindringen können. Unternehmen können sich so von reinen Trend-"follower“ zu Trend-„creator“ entwickeln.

Rückzug

Kommen wir nun zu einer defensiveren Strategie, dem kontrollierten Rückzug, um das eigene Überleben zu sichern. Eine solche Strategie wird häufig in schrumpfenden Märkten verwendet und kann durch eine Fusion oder Übernahme erreicht werden. Ein Beispiel hier wäre der Zusammenschluss von zwei Unternehmen, um angesichts von rasantem Wachstum innerhalb eines Marktes, mithalten zu können. Eine weitere Strategie ist die Hinzunahme von Regierungen und Regulierungsbehörden, um neuen Marktteilnehmern zusätzliche Beschränkungen aufzuerlegen. Dies ließ sich in Deutschland beobachten, als Uber auf dem Märkten auftauchen und Taxiunternehmen neue Regularien forderte.

Neuer Anfang

In dieser Strategie findet eine komplette Neuauslegung des Geschäftsmodelles statt. Etablierte Unternehmen beschränken sich auf vorhandene Kompetenzen und suchen nach neuen Märkten und Chancen diese gewinnbringend einzusetzen. So hat beispielsweise Fujifilm, einst größter Konkurrent von Kodak, seine Kompetenzen im Bereich der Chemie genutzt, um mit den Bereichen Gesundheitswesen und Bildgebung in der Medizintechnik, einen komplett neuen Bereich aufgebaut.

Abbildung 2: Reaktionen aus Disruption – Eigene Darstellung in Anlehnung an Birkinshaw (2022)

Wahl der Strategie

Die Wahl der richtigen Strategie ist nun eine der weiteren Herausforderungen. Neben Strategie und Ausrichtung spielt auch das Timing eine wichtige Rolle. Entscheidet sich ein Unternehmen beispielsweise dafür zurückzukämpfen, ist dies natürlich nur sinnvoll, wenn die Konkurrenz nicht bereits soweit vorgedrungen ist, dass Märkte bereits vollständig eingenommen wurden. Es ist deshalb wichtig, sich genau mit den Gegebenheiten zu beschäftigen, bevor eine angepasste Strategie gewählt werden kann. Hat mein Unternehmen bereits eine starke Kundenbasis und meine Produkte sind gleichbleibend sehr nachgefragt, macht eine „Einsatz verdoppeln“-Strategie eher Sinn. Wird mein Geschäftsmodell allerdings im Zuge der Digitalisierung von neuen Lösungen bedroht, kann es profitabler sein einen „Neuanfang“ zu wagen. Grundlegend kann allerdings festgehalten werden, dass der Einsatz digitaler Technologien grundlegend immer genutzt werden sollte, um die betriebliche Effizienz zu steigern.

Es lassen sich einige Handlungsempfehlungen festhalten, die gleichermaßen auch für mittelständige Unternehmen gelten:

  1. Es ist nicht unbedingt erforderlich das neue „Apple“ zu sein und ständig Innovation zu forcieren. Es gibt viele Mittelständler, die als Hidden-Champions Weltmarktführer auf ihrem Gebiet agieren und nicht so innovativ sind. Auch darf man sich nicht von dem Eingangs erwähnten Narrativ verunsichern lassen und von einigen wenigen Beispielen (wie Kodak) auf die Allgemeinheit schließen. Der zu große Fokus auf potentielle Disruption kann auch die Augen verschließen vor dem Risiko zu schnell zu handeln. Beispielsweise hat GM bereits in den 1990er Jahren sein erstes Elektroauto in Serie produziert und stellte die Produktion bereits wenige Jahre später wieder ein, nachdem bereits 1 Milliarde Dollar ausgegeben wurden.
     
  2. Handlungen sollten mit Bedacht und Urteilsvermögen gewählt werden. In Zeiten der Digitalisierung finden wir nicht mehr einen ausschließlich technisch geprägten Begriff der disruptiven Innovation vor, sondern wird erweitert durch disruptive Geschäftsmodelle. Früher haben neue Technologien alte Lösungen abgelöst (bspw. die MP3 die CD). Heute existiert mehr digitales Angebot und neue Formen Märkte zu bedienen. Die Auswirkungen neuer und radikaler Technologien erstrecken sich aber in der Regel über mehrere Jahrzehnte.

 

In unserem letzten Artikel haben wir uns mit dem Thema Open Innovation beschäftigt. Der Ansatz geht von einer gezielten Öffnung des Innovtionsprozesses aus, um beispielsweise Lieferanten, Kunden, aber auch universitätsnahe Einrichtungen als Informationsquellen für zukünftige Innovationen zu nutzen. Um wachsam und proaktiv zu bleiben, eignet sich auch dieser Ansatz, um über den Tellerrand hinauszuschauen und wachsam und proaktiv nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Denn im Endeffekt geht es immer darum, Szenarien zu entwerfen, die zu den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Unternehmens passen und Neuem stets offen und mit Bedacht zu begegnen.

 

Quellen:
Birkinshaw, J. (2022). How incumbents survive and thrive, Harvard Business Review